Teileinziehung


Eine straßenrechtliche Teileinziehung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BerlStrG soll in der Kastanienallee mit dem Zweck vorgenommen werden, sie der Nutzung durch gemäß Berliner Straßengesetz hier nicht vorgesehenen ortsfremdem bzw. überregionalem / internationalem schweren Lastverkehr zu entziehen.

Für die Nutzung der Kastanienallee durch überregionalen schweren Lastverkehr besteht keine verkehrsplanerische oder gesetzliche Grundlage.

Gemäß § 20 Nr. 1 BerlStrG stehen Straßen
I. Ordnung dem Fern- und Regionalverkehr zur Verfügung. Auf Straßen II. Ordnung soll nur überbezirklicher Verkehr erfolgen (§ 20 Nr. 2 BerlStrG). Die Kastanienallee stellt keine Straße der I. oder II. Ordnung dar, kann aber auf Straßen entsprechender Ordnung umfahren werden.

Eine solche Teileinziehung der Kastanienallee für bestimmte Formen des Schwerlastverkehrs ist nach dem Berliner Straßengesetz nicht nur möglich, sondern dürfte gemäß der gesetzgeberischen Intention sogar geboten sein. Ein erfolgreiches rechtliches Vorgehen gegen die Teileinziehung ist vor diesem Hintergrund gänzlich unwahrscheinlich.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BerlStrG ist die Teileinziehung einer Straße zulässig, wenn nachträglich Beschränkungen auf bestimmte Benutzungsarten, Benutzungszwecke oder Benutzerkreise aus überwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls festgelegt werden sollen.

Anders als bei einer vollständigen Einziehung geht es bei der Teileinziehung nicht um die deutlich weiter gehende gänzliche Entwidmung einer Straße, etwa infolge weggefallener Verkehrsbedeutung, sondern darum, die Benutzung der Straße zu beschränken.

Das Durchfahrtverbot für Schwerlastverkehr > 7,5 Tonnen (bei zugelassenem Anliegerverkehr) wäre eine solche Teileinziehung.

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Ausschluss bestimmter Verkehrsarten, einschließlich des Schwerlastverkehrs, mittels einer Teileinziehung realisierbar ist – dies betrifft auch Tonnagebegrenzungen für LKW (vgl. z.B. VG Sigmaringen, Urt. v. 14.6.2013 – 4 K 4268/11 –, juris, Rn. 45) sowie den Ausschluss von LKW-Durchgangsverkehr (vgl. VG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 24.1.2005 – 1 L 320/04 -, juris, Rn.9 ff.).

Voraussetzung für die Teileinziehung ist, dass überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls für die Teileinziehung sprechen. Dies setzt eine Abwägung zwischen den für und gegen die Verkehrsbeschränkung sprechenden Belangen voraus (vgl. Häußler, in: Zeitler, BayStrWG (September 2021), Art. 8 Rn. 19).

Hierbei greift kein strenger Maßstab, sondern es reicht, wenn „irgendwelche vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls die Einziehung rechtfertigen“ (vgl. Häußler, aaO, unter Verweis auf BayVGH, Urt. v. 14.9.1982 – 8 B 81 A.934).

Im Falle der Kastanienallee lassen sich zahlreiche Aspekte anführen, die für einen Ausschluss des Schwerlastverkehrs in der vorgeschlagenen Form sprechen (zu denen im Bedarfsfall durch die vorliegenden Gutachten / Untersuchungen detailliert vorgetragen werden kann:

  • Überschreitung der zulässigen Lärmgrenzen
  • Erschütterungsschäden
  • Unzulässige Straßenbreite
  • Gebietserhaltungsanspruch eines allgemeinen Wohngebiets
  • Gefährdung der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer (insbesondere Kita- und Schulkinder der ansässigen Einrichtungen, z.B. Grundschule Rosenthal in der Kastanienallee selbst)
  • Wertungen und Regelungsaufträge des Mobilitätsgesetzes (z.B. § 3 Nr. 3, § 10 MobG [Bedeutung der sicheren Verkehrsteilnahme für Kinder, Jugendliche und Schwache]; § 6 Abs. 2, § 9 MobG [gesunde Lebensverhältnisse], § 42 MobG [Radvorrangnetz])
  • Einklagbare Schutzpflicht des Staates für gesunde Lebensverhältnisse (BVerfG, Beschl. v. 24.5.2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. -, Rn. 147)
  • Funktionsstufe der Kastanienallee nach BerlStrG / Funktionsstufen der SenMVUK sieht keinen Schwerlastverkehr vor

Selbstverständlich sind auch die Belange, der durch eine Teileinziehung negativ Betroffenen zu betrachten. Hierzu sind insbesondere die wirtschaftlichen Interessen des ausgeschlossenen Durchgangsverkehrs und die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner der Alternativrouten zu zählen.

Angesichts der Beschränkung der Teileinziehung auf Schwerlastverkehr > 7,5 Tonnen, der Ausnahmen für Anliegerverkehr und des nur geringen Zeitverlusts über Alternativrouten (circa 15 Minuten) sind die wirtschaftlichen Belange nicht bzw. minimal betroffen.

Auch die im Verhältnis geringfügige zusätzliche Betroffenheit der Anwohnerinnen und Anwohner von Alternativrouten über vierspurig ausgebaute Straßenverbindungen der Kategorie I nach Berliner Straßengesetz bzw. der Funktionsstufe I oder II (Klassifikation SenMVUK) tritt deutlich hinter den Belangen der Anwohnerinnen und Anwohner der Kastanienallee (Funktionsstufe III nach Klassifikation SenMVUK) zurück.

Es spricht Vieles dafür, dass entsprechend der Wertung des Berliner Straßengesetzes sogar ein Regelungsauftrag für die die zuständige Verwaltung besteht, das Instrument der Teileinziehung angesichts der verkehrlichen Belastungen und Zustände in der Kastanienallee einzusetzen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 4 BerlStrG „soll“ von der Möglichkeit der Teileinziehung insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn zur Realisierung von Maßnahmen der Verkehrslenkung und -beruhigung bestimmte Verkehrsarten auf Dauer von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen. Die Formulierung „soll“ drückt im Verwaltungsrecht ein sogenanntes „intendiertes Ermessen“ aus, wonach das Ergreifen der Maßnahme vorbehaltlich atypischer Ausnahmefälle den Regelfall bildet.

In § 4 Abs. 1 Satz 3 BerlStrG liegt nach der Einschätzung des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht – Prof. Dr. Udo Steiner – demnach eine bewusste Erleichterung, verkehrslenkende Ausschlüsse bestimmter Verkehrsarten „zulasten des Kraftfahrzeugverkehrs, einschließlich des Parkverkehrs“ umzusetzen (Steiner, Instrumentierungsfragen der innerstädtischen Mobilität, NVwZ 2021, 356 (357)).